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Erscheinungsjahr: 2006
Un jardin d’hiver*, präsentiert
3.4 Ways of Power
wie Architektur
in Modernisierungsabläufen
Vorrichtung ist,
das „Fremde“, das „Andere“, das „Außen“
anzueignen und zu binden,
Subjekte zu bilden und Subjekte als
das „Fremde“, das „Andere“, das „Außen“
zu platzieren,
ins Blickfeld zu rücken;
oder
wie
Ideologie „recht wenig mit dem
,Bewusstsein‘ zu tun (hat)“
(...)
„Sie ist von Grund auf unbewusst (...).
Die Ideologie ist zwar ein System von Vorstellungen;
aber diese Vorstellungen haben in den meisten Fällen
nichts mit dem Bewusstsein zu tun:
sie sind meistens Bilder, bisweilen Begriffe,
aber der Mehrzahl“ von uns „drängen sie sich vor allem
als Strukturen auf (...).
Sie sind wahrgenommene-angenommene-ertragene
kulturelle Objekte und wirken funktional“ auf uns
„ein durch einen Vorgang, der“ uns entgeht.1
edited, and
&
with an introduction
of
"Pouvoir/Savoir“2
"Machen Können/Wissen“
Vorwort
Un Jardin d’hiver*, präsentiert
Der Titel dieser Hintergrund-Sonderausgabe greift auf das von Marcel Broodthaers nicht fertig gestellte, als fragmentarische Diasammlung überlieferte Ausstellungsprojekt „Un jardin d’hiver (objet-sujet)“ aus dem Jahre 1974 zurück. „Un jardin d’hiver“ steht für einen beliebten Aufenthaltsort der Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts, den Wintergarten. Im Wintergarten, in dem exotische Pflanzen gezogen und Objekte aus „fernen Welten“ präsentiert werden, erscheint das Fremde als Fluchtpunkt, imaginäre Konstruktion einer Sehnsucht nach Unmittelbarkeit, unverdorbener Natürlichkeit, Ursprünglichkeit, das jedoch gleichzeitig als bedrohend und unheimlich gefürchtet wird. Ort- und geschichtslose Ferne, ist der Wintergarten räumlich gesellschaftliche Einrichtung der Ausblendung und Verdrängung der Machtverhältnisse (und ihrer gleichzeitigen Affirmation), globaler kapitalistischer Produktionsbedingungen, wie z.B. die wirtschaftliche Ausbeutung der Kolonien und deren Bevölkerung. Der (entrechtete) Fremde, durch diese Darstellungen ein weiteres Mal unterworfen, ist im stummen Kleid der Natur, in Natürlichkeit, stellvertreten, ausgelöscht, an eine Stelle gerückt, an der er fehlt. Der Wintergarten lässt sich jenen fetischisierenden Symbolen zurechnen, von denen Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung sagen: „Die Wiederholung der Natur, die sie bedeuten, erweist im Fortgang stets sich als die von ihnen repräsentierte Permanenz des gesellschaftlichen Zwangs. Der zum festen Bild vergegenständlichte Schauder wird zum Zeichen der verfestigten Herrschaft von Priviligierten.“
Die vorgestellte Bilder/Textsammlung ist als Katachrese angelegt. Was heißt das? Die Zusammenstellung
von Texten und Bildern ist der Formulierungsweise einer rhetorischen Figur folgend gearbeitet, die aus der unstimmigen, zuweilen widersprüchlichen Verbindung mehrerer Elemente eine Bezeichnung herstellt, die jedoch verquer im Bezug zum Bezeichneten steht, Bezeichnendes und Bezeichnetes in ein Missverhältnis stellt. Die Katachrese zielt in oder auf eine sprachliche Lücke, eine Leerstelle des Gemeinten, die eben in den Übereinkünften des Bezeichnens liegt. Diese Aussageform stößt auf eine Möglichkeit der Sinnproduktion, die in den Materialien des Aussagens, als Effekt des Uneigentlichen, also was es – bestimmt –
nicht ist, liegt: Vorliegendes und Gefundenes kann in dieser unstimmigen Verbindungsweise angeeignet, durch die „Veruntreuung“ seiner geläufigen, herrschenden Bedeutung im Sinn gewendet werden. Etwas, das nicht in erster Linie im sprachlichen oder bildlichen Material angelegt (weil ausgeschlossen oder unterdrückt) war, deutet sich abhängig vom situativen Gebrauch an ... und wird nie damit fertig – vielleicht ist Katachrese eine Bastelei des Bedeutens.
Un Jardin d’hiver*, präsentiert ist jedenfalls eine gebastelte Geschichte zu einer heutigen architektonischen Praxis, die im Bereich gesellschaftlich deregulierter Verhältnisse über das geopolitische gesellschaftliche Gefälle hinweg wirken will. Diese gebastelte Geschichte möchte, wenn schon nicht die unaussagbare, so doch die schwer aussagbare Leerstelle dieser Praxis umkreisen, von außen her aufsuchen. Sie umkreist sie, indem sie Bilder und Texte, die mit dieser bestimmten Praxis unstimmig sind, ihr vielleicht sogar fremd, uneigentlich sind, sammelt, sie miteinander verbindet, sodass die bestimmten Qualitäten ihrer Bedeutungen,
die sich in ihrer Wechselwirkung gegenseitig immer neu aufladen und anstecken, die unbestimmten Seiten ihrer Bedeutungen aufrufen, als Äußeres, Fremdes, Uneigentliches dieser Leerstelle, als das was sie – bestimmt – nicht ist, aber unbestimmt.
Stellen folgender Texte von folgenden Autoren wurden als Fragmente verwendet: das Kapitel „ Methode“ aus Michel Foucaults Sexualität und Wahrheit, in dem er eine Analyse von Wissen/ Diskursen unter dem Namen „Macht“ vorschlägt. „Macht“ wird hier nicht als statischer, hierarchisierender Apparat, substantiell, sondern relational gesetzt, als Feld von aufeinander wirkenden Aktivitäten, die Kräfteverhältnisse des Feldes konkretisieren; zugleich sind jedoch diese das Feld strukturierenden Aktivitäten von den Kräfteverhältnissen des Feldes strukturiert.
Weitere Textstellen sind aus Gayatri Chakravorty Spivaks „More on Power/Knowledge“ entnommen, in dem Spivak „Handlungsfähigkeit“ im Spannungsfeld von Theorie und Praxis spielen lässt. Sie schlägt vor, dass die Fähigkeit zu handeln an den jeweils lokalen „Brennpunkten“ von Wissen/Macht, den Stellen, an denen aufeinander wirkende Aktivitäten die Kräfteverhältnisse des Feldes konkretisieren, Subjekte Erfahrungen in den Netzen der Macht machen und „empirische Details sammeln“, aus denen wiederum Wissen fabriziert wird, das Handeln unterfüttert, zu entwickeln wäre. Donna Haraways Text „Die Beharrlichkeit der Vision“ beschäftigt sich mit „Technolgien der Vision“: Sichtweisen, die sowohl organisch verkörperte als auch technologisch vermittelte Wissensformationen sind, also sowohl an Subjekte und deren Körper/Verortung als auch an Produktionsbedingungen gebunden sind.
Ihre Verschneidung bringt Repräsentationen von Welt hervor, die von Machtverhältnissen, wie Subjekte Produktionsbedingungen erfahren und von ihnen geprägt werden oder diese prägen, codiert sind, Machtverhältnisse an ihnen – unbestimmt – ablesbar wären. Begriffe des „situierten Wissens“ und der „partialen Perspektive“ lassen an Foucaults „die Macht ist überall“ sowie die „lokalen Brennpunkte von Macht/Wissen“ bei Spivak denken. Für die Auswahl der Bilder und ihre Zusammenstellung waren folgende Überlegungen ausschlaggebend, um die sich die wiederkehrenden und sich geringfügig verändernden Konstellationen bewegen:
Mit Blick auf „Modernisierung“, ein Begriff, der mit Herstellen beziehungsweise Durchsetzen von Bedingungen kapitalistischer Produktionsverhältnisse und deren Repräsentation kurz umrissen werden kann, versucht die Sammlung von Bildern eine mögliche Spur des Wirkens architektonischen Formenvokabulars im Sinne der herzustellenden Verhältnisse zu legen: wie Architektur die „Maschen der Macht“ strickt. Einerseits sind damit Funktionen architektonischer Gebilde angesprochen, die Lebensverhältnisse unterstützend herstellen, durch die das Leben des Einzelnen als Produktivkraft, er/sie als Subjekt von „Arbeitskraft“ nutzbar wird: Strukturen, die Vorgänge des Aufteilens, Zergliederns und Anordnens im Zusammenhang z.B.: des Wohnens, Arbeitens und Erziehens, der Hygiene bewerkstelligen ... der Einzelne im Netz dieser Vorgänge als Ware „Arbeitskraft“, neu formatiert, in die Öffentlichkeit des Marktes tritt und auf diesem zirkuliert.
Anderseits geht es um architektonische Strukturen, die im Ausbreiten und Aufführen der Warenwelt – die sich eben nun nicht mehr auf Dinge im überlieferten Sinne beschränkt, in der Repräsentation des Weltbildes kapitalistischer Produktion Raum konzipieren: Gebäude der Weltausstellungen, Dioramen und Panoramen stehen hier für eine Logik harmonisierender Totalisierung des Nebeneinanders durch Serialisierung (Verknüpfung, Verkettung, aber auch Verfielfältigung) des Zergliederten modellhaft als Beispiele: Strukturen und Settings einer Visualisierung von Welt, eines „Eindrucks von Wirklichkeit“, Gerüst, Apparatur von Repräsentation.
Auch hier, in der Funktionalität der Techniken des Betrachtens, findet Subjektivierung, also die Herausbildung von Subjekten durch ihre Verstrickung in Machtverhältnisse, über Blickkonstruktionen ein ins Verhältnis-Setzen von Subjekt, Objekt und Welt(bild) ein Verfügbarmachen für den Blick mittels Technologien statt; auch das können Raumkonzeptionen zu lesen geben.
Diese sich immer mehr verfeinernde Rationalisierung der Architektur, also eine sich einschleifende Effizienzsteigerung ihrer Mittel im Dienste des Geistes der (kapitalistischen) Gesellschaft, wird jedoch auch von einer Fabulation (der Erneuerung) der Architektur über sich selbst begleitet, die Erzählung über ihre „Eigentlichkeit“, ihren unveränderlichen Kern, den Mythos ihres Ursprungs, ihrer Prinzipien, mit denen sie immer wieder zu sich kommen will, um in eine Zukunft zu blicken: Fortschritt, (auch als technische) Weiterentwicklung (verstanden), wird durch ein Zurückgreifen und Einverleiben – eine rhetorische Kolonisierung in Wort und Bild – aller möglichen Formen des Primitiven, Exotischen, aber auch von Abfallerscheinungen (des Fortschritts, der auch die Entwicklung der Architektur weitertreibt) in einen Jargon des Immer-so-Gewesenen, in eine naturalisierende Rede ewiger Gesetze, „ihre Natur“ gekleidet.
Der Wintergarten, pittoresker Raum von „Vorstellung von Wirklichkeit“, der als Gebäudetypus technisches Know-how auf der Höhe der Zeit realisiert und repräsentiert und gleichzeitig in Bilderwelten das Fremde, das Andere „beheimatet“, spielt als Wendung und Bild die Rolle einer Metapher für die beschriebene Problematik. Er steht für denjenigen Aspekt von Repräsentation, der Inklusion, Einschluss, Vereinnahmung, Benennung bedeutet, Domestizierung – also Zähmung und Züchtung (z.B.) des „Anderen“, das als Rohstoff der je eigenen Weiterentwicklung (hier z.B. der Architektur), des je eigenen Fortschrittes dient.
Gerade im Eingreifen in deregulierte, unterpriviligierte Verhältnisse in der Hilfestellung an diejenigen, die zu „Minderheiten“ degradiert, an den Rand gedrängt, nach unten gedrückt, als „Anderes“ der Gesellschaft figurieren, wiederholt sich die skizzierte Dynamik des Betriebs Architektur und die Ambivalenz der Wirkkraft architektonischer Formen, strukturell funktional Leben produktiv zu machen, Lebensformen unterstützend herauszubilden, „bilderzeugendes Verfahren“ zu sein und sich in der Einverleibung enthropischer gesellschaftlicher Phänomene und Prozesse im Anspruch einer Selbstkritik zu reformieren.
Sowohl sozialkritisch denkend, menschenfreundlich handelnd, Lebensbedingungen zu verbessern, als auch im selben Schritt potentiell Mittel eines „social engineering“ zu sein, zum Zwecke eines Produktivmachens ungenutzter Resourcen von Bevölkerungsgruppen und deren Leben; die Hilfe Einzelner an Einzelne, das Handeln an den lokalen „Brennpunkten“ von Machtverhältnissen findet unter Bedingungen eines Marktes, von Ökonomien statt, die nicht nur bedeuten, dass Zonen der Deregulierung, die dieser Markt selbst als seinen Auswurf hervorbringt, als „Entwicklungsgebiete“ rekolonisiert werden, sondern, man auch die damit verbundenen Lebens)Vorgänge, die davon Betroffenen (deren Leben) als „Rohstoff“ von Kommunikation, verwandelt in Schauwerte, kulturindustriell repräsentiert zirkulieren lässt. Handeln, als politisches Tun, findet nun nicht nur in der Hilfestellung Einzelner an Einzelne statt, sondern bezieht – weil sich „Handeln“ nun als „Arbeitskraft“ als Ware im Prozess einer Mehrwertschöpfung, die auch Kommunizieren und Repräsentieren mitproduzieren, im Interesse der herrschenden Machtverhältnisse wiederfindet – Reflexion mit ein: das Denken dieser unauflöslichen Bedingungen (von Repräsentation).
„Situiertes Wissen“ oder „partikuläre Perspektive“ heißt nun eben nicht mehr, den Blick-vonunten zu repräsentieren, seine Stelle einzunehmen oder ihn darzustellen, durch die Aneignung dessen „empirischer Details“, sondern bedeutet, die Stellen und Situationen unsichtbarer „globaler“ Bahnen, die wir ziehen (oder nachzeichnen), ungesehener, „unendlich beweglicher Blicke“, die wir gleiten lassen, wo sich „Handeln“ einstellt, beginnt, aber auch: sich unterbricht, sich in der Frage nach seiner eigenen Unmöglichkeit verortet und sich ihr ausliefert. Diese Unmöglichkeit ist vielleicht die schon anfangs erwähnte Lücke oder Leerstelle, eine Unstimmigkeit, eine Spur von Andersheit, die als das Unbestimmte das eigene Äußern und Agieren mitproduziert, als eine Stelle der Störung im Gewussten, im Gelernten.
Die hier versammelten Bilder entwerfen ein rückblickendes Szenario auf gesellschaftliche Verhältnisse, die sich heute in ihrer fortwährenden Wiederholung möglicherweise anders darstellen, laden aber dazu ein, Gegenwart durch eine ihr eingelagerte Vergangenheit zu betrachten. Der „allgemeine Sinn“ dieser Äußerung sei an der Problematik des Arbeiterwohnbaus in einem „engeren Sinne“ veranschaulicht. Der Arbeiterwohnbau, eine Typologie, die Mitte des 19. Jhdts. entsteht, drückt laut Friedrich Achleitner „von vornherein zwei Interessenslagen aus: einerseits eine allgemein gesellschaftliche, andererseits eine unmittelbar ökonomische der Arbeitgeber. Die Interessenslage der Arbeiter selbst kommt nur indirekt zu Wort, sie ist Teil des ökonomischen Prozesses.“ Dass Interessenslagen derjenigen, deren Leben als Resource der Mehrwertschöpfung dient, Teil des ökonomischen Prozesses sind, ist eine historische Einsicht, die es verdient, auch heute noch in konkreten Situationen der „Wohlfahrtsindustrie“ als deren Restbetrag überdacht zu werden.
Wie schon einer der Untertitel der Bildersammlung: „Wie Ideologie recht wenig mit dem ,Bewusstsein’ zu tun (hat)“ anführt: (...) „Sie ist von Grund auf unbewusst (...). Die Ideologie ist zwar ein System von Vorstellungen; aber diese Vorstellungen haben in den meisten Fällen nichts mit dem Bewusstsein zu tun: Sie sind meistens Bilder, bisweilen Begriffe, aber der Mehrzahl von uns drängen sie sich vor allem als Strukturen auf (...). Sie sind wahrgenommene – angenommene – ertragene kulturelle Objekte und wirken ,funktional’ auf uns ein durch einen Vorgang, der uns entgeht“, soll dies ein Vorschlag sein, Architektur als eine Technologie zu begreifen, ein Set von Handlungsformen, und sie auf die ihr inhärenten Wertvorstellungen,
den konkreten Fall – als „Knotenpunkt allgemeiner Tendenzen“ – betreffend zu überdenken, als Handeln.
Johannes Porsch
1Louis Althusser, Für Marx, Frankfurt a.M., 1974, S. 183
2Gayatri Chakravorty Spivak, „More on Power/Knowledge“ (1992), in: dies.,
z.B.: The Spivak Reader, New York, 1996, S. 141-174
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© Az W
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