|
|
(in German)
Erscheinungsjahr: 2007
Inhalt
05 Dietmar Steiner: Vorwort
17 Andreas Hild und Oliver Elser: Architekten, hört auf zu entwerfen! Es töte eure Kreativität! Zur Lehre an der Grazer Architekturfakultät 2005-2007
21 Andreas Hild: Lehrerfahrung. Konsequenzen aus der „Analogen Architektur“
31 Axel Simon und Hendrik Tieben: Interview mit Miroslav Sik mit einer Einführung von Oliver Elser
44 Dokumentation Lehrmethodik:
45 Hohes Haus Graz
53 Putz
71 dogMax
90 Beteiligte Studenten
95 Impressum
Vorwort
Die vorliegende Ausgabe von Hintergrund 36 ist einem einzigen Thema und einer Ausstellung im Az West gewidmet: dogMax. Gezeigt werden in dieser Ausstellung die Ergebnisse einer Lehrveranstaltung von Gastprofessor Andreas Hild an der TU Graz im Sommersemester 2007. Diese hatte als inhaltliche Leitlinie das DOGMA95-Manifest der dänischen Filmemacher Lars von Trier und Thomas Vinterberg, die eine Rückkehr zur Abbildung des realen Lebens forderten. Keine Kulissen, kein künstliches Licht, keine Spezialeffekte. Als ob der Filmautor das wirkliche Leben mit seiner Handkamera abfilmen würde. Ebensolche Regeln übersetzte Hild auf die Architekturausbildung: weg von den digitalen Luftschlössern, wo alles möglich scheint und nichts wirklich gebaut werden kann, hinein ins direkte und alltägliche Leben. Dem folgte logischerweise eine Zusammenarbeit mit einem Baumarkt – ein Ort also, wo der alltägliche Häuslbauer seine konkreten Materialien bezieht, um seine Träume real zu verwirklichen. Damit musste entworfen werden, von Hand gezeichnet, „ohne Strom“. Ergebnis dessen sind 1:1 von den Studenten auch eigenhändig gebaute Objekte, die ausschließlich aus Materialien gefertigt wurden, die in einem Baumarkt erhältlich sind.
Was sich in dieser kurzen Darstellung zunächst als plakative aktionistische Veranstaltung darstellt, hat einen sehr grundsätzlichen architekturtheoretischen Hintergrund, der eine Entwicklungslinie der zeitgenössischen Architektur wieder aufgreift, die zur Zeit noch hinter Star-Fetischismus, Computergläubigkeit, Lifestyle-Moden und einem „irgendwie modern“ verborgen ist.
Dafür müssen wir mit den Architekturdebatten der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts beginnen. Die Moderne und auch die Modernitätsgläubigkeit der Wiederaufbauzeit erlitt mit der Ölkrise 1973 einen fundamentalen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Auf einmal war alles, was früher war, besser; auf einmal war das, was man als Zukunft bezeichnete, mehr Bedrohung als Erlösung. Es folgte die Wiederentdeckung der europäischen Stadt als politischer Anspruch an eine Architektur des Vorhandenen und der Sicherung seiner sozialen Gemengelage. Dem entsprach damals eine „Soziologisierung“ der Architektur, die der architektonischen Form entsagte und sich vornehmlich partizipativen Prozessen widmete. Um die Architektur selbst zurückzuholen, wurden architektonische Positionen, die schon in den sechziger Jahren entwickelt wurden und sich der Geschichte der europäischen Stadt und der Realität des Alltäglichen widmeten, virulent. So bestimmte beispielsweise der Soziologe Lucius Burckhardt – „Design ist unsichtbar“ – an der ETH Zürich die „partizipative Epoche“. Ihm folgte dann Aldo Rossi (von 1972 bis 1974 Gastprofessor an der ETH Zürich, Anm. der Red.), der die architektonische Permanenz der Monumente der europäischen Stadt neu begründete. Parallel zu Rossi diagnostizierten die selbsternannten „Grauen“ in Philadelphia, vornehmlich Robert Venturi und Denise Scott Brown, die sich als „greys“ von den den „whites“ wie Peter Eisenman und Richard Meier absetzten, den US-amerikanischen mainstream als „almost allright“. Dass dies zuvor schon von Peter und Allison Smithson im Rahmen der Team Ten Untersuchungen geschehen war, und sich im europäischen Brutalismus formulierte, spielte damals keine wirkliche Rolle mehr. Entscheidend ist, dass Rossi die Debatte nicht nur mit seiner Theorie der Permanenz der Monumente der europäischen Architektur bereicherte, sondern auch von der Poesie des Alltäglichen im italienischen Neoverismo stark inspiriert war. Diese filmischen Atmosphären wollte er in seiner Architektur evozieren, wie er in einem der schönsten Architekturtexte des 20. Jahrhunderts beschrieb: „Realismus als Erziehung“.
In der Architekturdebatte der achtziger Jahre machte sich dann aber ein sehr simpler Postmodernismus breit, der sich mit einer Wiederentdeckung historischer Elemente begnügte. Und wie ein Blitz aus heiterem Himmel funkte in den späten achtziger Jahren als artifizielles mediales Konstrukt postmodernen Denkens der Dekonstruktivismus dazwischen.
Davor aber versuchten Fabio Reinhart – der zuvor Assistent bei Aldo Rossi war – und Miroslav Šik mit dem Konzept der Analogen Architektur eine produktive Vereinigung der Position Rossis mit der Sicht der amerikanischen „greys“, eine neue Theorie der Architektur zu begründen. Logisch, plausibel, intellektuell korrekt und voller Poesie für das Erhabene des Alltags. Doch Šik konnte damals nicht die nötige internationale Aufmerksamkeit für seine Position generieren. Die Analoge Architektur lugte sozusagen nur kurz hinter „pomo“ und „deko“ hervor, war zu sehr auf die ETH Zürich beschränkt, konnte sich international nicht vernetzen, und scheiterte auch an der in den späten achtziger Jahren vehement beginnenden Individualisierung von Personalstilen, der so genannten Signature Architecture.
Nachdem heute, rund 20 Jahre später, die „Diamanten“ der Stararchitektur in ihren massenhaften Klons zu ersticken drohen und sich ansonsten ein begründungsloser postmoderner Neo-Modernitäts-Mainstream über den Planeten zieht, werden an vielen Orten wieder Anknüpfungspunkte an verloren geglaubte Haltungen und Positionen gesucht, denen es auch intellektuell gelingt, die Architektur mit dem gelebten Alltag zu verbinden. Die Brücke von den „Analogen“ zu „dogMax“ ist eine davon. Im Programm des Az W waren auch schon bisher und werden weiterhin einige andere zu finden sein.
Dietmar Steiner
|
|
|
|
© Az W
|
|
|