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(in German)
Erscheinungsjahr: 2007
Concept: Johannes Porsch
191 p.
Vorwort
Ich glaube, ... „China“, ... sagt man ...
... Seit vor knapp dreißig Jahren Deng Xiaoping der westlichen Welt die „Politik der offenen Tür“ verkündete, wurde in China ein Modernisierungsprogramm eingeleitet, das den strukturellen Umbau der chinesischen Gesellschaft zugunsten heute global vorherrschender marktwirtschaftlicher Bedingungen schrittweise vornehmen sollte. ... „Urbanismus“ erwies sich als geeignetes Experimentierfeld und effizientes Instrumentarium, Netzwerke internationalen Kapitals im (post)kommunistischen China zu verankern. Urbanisierungsprozesse, die sich seither in China in der Wechselwirkung von staatlicher Bürokratie und dem Kräftespiel des freien Marktes vollzogen haben, erfüllten vornehmlich den Zweck, ökonomisches Wachstum, die Schöpfung von Mehrwert, zu garantieren und zu fördern. ... Ein Genre von Städtebau jenseits der (akademischen) Disziplin „Architektur“ hat sich entwickelt, neue Stadttypen, die aus rein ökonomischen Modellen generiert wurden, entstanden. ... Ein überlieferter Begriff von „Stadt“ würde jedoch, wie in internationalen Diskussionen behauptet wird, diesen Verhältnissen nicht mehr gerecht. ... Die spätestens seit dem Anbruch der Postmoderne in internationalen Architekturkreisen beschworene „(urbane) Krise der Architektur“ habe sich in den chinesischen Städten bei ihrem Sprung in die Zukunft erneut konkretisiert. ... Architektonische Praxis sieht sich im „Kontext China“ ohne legitimierte oder allgemeingültige Regelwerke mit einer neuartigen „urbanen Substanz“ konfrontiert: Aus jeweiligen urbanen Lagen müssten zukunftsweisende allgemeine, jedoch wandelbare Grundlagen erarbeitet werden, die ortsspezifisch (anderorts) in Planungsstrategien übersetzbar sein sollen. ... „China“ ist zu einem „world-laboratory“ der Städteplanung und der Architektur geworden. ... Großflächige und umfassende Zerstörungen traditioneller Stadtstrukturen, die überlieferte Lebensformen auslöschen, sind als kollektiver Gedächtnisverlust auch in das Bild heutigen Modernismus eingeschrieben. ... Andererseits ließen jedoch die neue Form politischer Ökonomie – unter dem Titel „sozialistische Marktwirtschaft“ – und die daraus resultierende Dimension und Geschwindigkeit der Urbanisierung China zur begehrtesten Baustelle der Architekturheroen des westlichen internationalen Architekturbetriebes werden. Peking zum Beispiel, das zu einer Metropole der „global players“ umgebaut werden soll, bietet das megalomane Setting einer „Hypermoderne“ ... Neuauflage eines internationalen Stils. ... Die chinesische Führung hat Geschick mit ihrer neuen urbanen Repräsentationspolitik bewiesen: Die Prestigeobjekte internationaler Stararchitekten figurieren als Embleme zeitgenössischer chinesischer Identität. Sie sollen für ein modernisiertes, weltoffenes China stehen. ... So wird inzwischen von einem autoritären, repressiven Staat behauptet, ... er sei westlicher als der Westen. ... Die Verwendung des Begriffes „(Hyper)Modern“ im aktuellen geopolitischen und kulturellen Kontext „China“ deutet an, dass die Konstruktionen der Kategorien „chinesisch“ und „westlich“ mit der „Tradition“ und „Modernität“als Gegensatzpaar assoziiert werden, herausgefordert und überdacht werden müssten: Wie finden Abgrenzungen und Beeinflussungen in komplexen kulturellen Gefügen statt? ... Es heißt in der Rede von der Spezifität „chinesischer Architektur“, sie müsse die fremden Beiträge und „Importe“ miterwägen. ... Jedoch zeigt z.B. gerade die offizielle Imagepolitik Chinas, dass das „spezifisch Chinesische“ dieser Politik, heute, in der quasi kapitalistisch-kooporativen (oder: korporativen?) Fähigkeit liegt, das Andere so anzueigen, dass es zum (austauschbaren) Zeichen des Eigenen werde. (Spezifisch chinesische) Identität ist damit als ein offener, reaktionsfreudiger, unternehmerischer Operationsmodus, eine „mobile Position“ innerhalb pragmatischer Handlungsweisen und -zusammenhänge, angelegt. ... Die aktuellen Diskussionen um die atemberaubenden urbanen Transformationen, „wildes Wachstum“, deuten zeitgenössische chinesische Architektur gerne als eine vollkommen neuartige Erscheinung, als ein Kapitel, das von Kräften der Globalisierung geschrieben wurde. ... In Ergänzung zu dieser Erzählung könnte der chinesische Architekturbetrieb, Akademie und Praxis, auch in einer darüber hinausgehenden Logik verstanden werden. So arbeiten Architekturtheoretiker und Architekten an einer Geschichtsschreibung der modernen chinesischen Architektur entlang Leitfäden, wie z.B. ... als dezentriertes Subjekt Einflüsse (um)schreiben und Traditionen (aus)suchen, ... kurz: Traditionen beeinflussen. ... Der heutige Stand einer chinesischen Architekturgeschichte kann als kritische Reflexion einer national (aber auch international) gepflegten Erzählung von (Anti-)Moderne und Tradition und ihren jeweiligen ideologischen Schichten gelten ... von kolonialem Eklektizismus, klassizistischem Nationalstil, „nationaler Architektur mit sozialistischem Inhalt“ bis hin zu einer „Architecture=Real Estate“- oder „Branding“-Architektur des globalen Kapitalismus. ... Berührungspunkte mit der europäischen Moderne (als oft proklamierte Leerstelle oder imaginärer Fluchtpunkt) werden aufgesucht. Damit beginnt eine chinesische Architekturgeschichte, die die eigene Geschichtlichkeit und deren Konstruktion selbstreflexiv von außen her denken möchte. ... Es ist die Leistung einzelner Pioniere seit den achtziger Jahren, in die chinesische Architekturdebatte den Diskurs der westlichen Akademie bzw. deren unterschiedliche Theorieformationen eingebracht zu haben und an Theoriestrategien zu arbeiten, die beide Traditionen durch die Perspektive und Denkmuster der jeweiligen anderen kritisch zu befragen vermögen. ... Mit dem gesellschaftlich strukturellen Wandel, dem Umbruch ökonomischer, der Internationalisierung der chinesischen Architektur, geht die Erneuerung des Berufsbildes des Architekten einher. ... Die westliche Erfindung des autonomen Agenten „Architekt“, der im Wechsel zwischen Kunst, Architektur, Politik, Kritik und Publizistik über die gesellschaftlichen Felder hinweg wirkt und entscheidende Antriebskraft der Entwicklung der europäischen Moderne war, fand in der modernen maoistisch-kommunistischen Gesellschaftskonzeption keine direkte Entsprechung. ... Schon in der traditionellen chinesischen Kultur wurde der „Architekt“ eher dem Handwerk als den Künsten zugerechnet. ... In der Kulturpolitik der Volksrepulik China wurde der technische, praktische, anwendungsbezogene Aspekt der Tätigkeit der „Architektur“ verstärkt und institutionalisiert – im Umdeuten der traditionellen Regelwerke und Grundlagen sowie im Bruch mit den florierenden kommerziell orientierten modernen Architekturszenen in den ehemaligen kolonialen Städten. ... „Architektur“ bedeutete: Repräsentation programmatisch vorgegebenen Stils, Organisationsapparat der planwirtschaftlichen Maßnahmen, ... „sozialistischer Inhalt in nationaler Form“, Produktionsverhältnisse betreffend. ... Kurze Zeit später wurde der „Architekt“ als Begriff aus dem offiziellen Vokabular überhaupt gestrichen. ... Seit Beginn der neunziger Jahre etablierte sich eine Generation, die sich gegen die Dominanz der staatlich organisierten „Entwurfs- und Forschungsinstitute“ behauptete: als private Architekturbüros mit der zentralen und prominenten Figur des „Architekten“, ... im westlich modernen Sinne. ... Während der internationale Architekturbetrieb, vom Ende der Architektur, von der Arbeit an den Ruinen der Moderne und ihren Folgen her kommend, sich im Projekt(ions)raum China regenerierend in seiner stilistischen Dominanz bestätigt, ist diese Generation im Begriff des Beginnens. Es wird von einer kommenden chinesischen Architektur gesprochen, die ihre Dynamik aus den Brüchen ihrer Geschichte, den Unordnungen und Umschichtungen der Gegenwart, ihrer sich immer neu konfigurierenden Problematik, den frappierenden gesellschaftlichen Missverhältnissen der Globaliserungs- und Modernisierungsprozesse bezieht. ...
Unter dem Titel Chinaproduction – eine Anspielung auf die kulturindustrielle Herstellung von Bildwaren – gibt das Architekturzentrum Wien die internationale Rede über zeitgenössische Architektur in China wieder. Im Strom der zirkulierenden Medialisierung der neuen Verhältnisse bilden sich bestimmte Bilder und Figuren in ihrer fortwährenden Wiederkehr als dominante Erzählformen heraus. Bei gleichzeitiger Streuung und Steigerung des Angebotes prägen sie den Informationsmarkt „China“ und dessen Waren(produktion). Eben diese Informationslage zeigt in ihrer Vielfalt auch innere Widersprüche, Unaufgelöstheiten und Unsicherheiten, Offenheit. Information, die sich zwar von einer Wirklichkeit ableitet, sich dabei aber auch von ihr ablöst, operiert selbsterzeugend und produziert sich als Überschuss, ist Simulakrum. In ihrer Rede verweist sie auch auf sich selbst und entfaltet Fiktionen. In ihrer Dynamik zwischen (analytischem und synthetisierendem) Wirklichkeitsbezug und sich verselbstständigender Erzeugung von Wirklichkeit liegt ihr Potential einer kritischen Perspektive auf bestehende Verhältnisse. Diesen offenen Bezug von Medialisierung, Wirklichkeit und Fiktion nutzt die Ausstellung als einen (selbst)reflexiven Moment der Vorführung und Betrachtung der aktuellen Bilder Chinas. In einer als fragmentarische Rezeptionsgeschichte angelegten Dokumentation rekonstruiert die Ausstellung die in westlichen Fachpublikationen zirkulierenden Debatten über das „Phänomen China“ seit den 1990er Jahren und fächert so die Register und Konstruktion einer „neuen“ Sichtbarkeit und diskursiven Erschließung Chinas auf.
Wenn nun diese Bilder- und Textsammlung fragmentarisch genannt wird, bedeutet das, dass Bilder und Texte sowie ihre Zusammenstellung Bruchstück sind. Zitate, die aus ihrem Umfeld, ihrem Zusammenhang herausgenommen worden sind, werden zu Stellen, deren Vermittlung gerichteter Sinnproduktion stillsteht. Ihre Referenz ist unterbrochen. Codierungen klemmen: Bilder zeigen sich als Bilder (von Bildern), Texte als erstarrte Formen eines zu transportierenden Inhalts. Sie sind in gewisser Weise unbestimmt und können daher „Mögliches“ bedeuten. Sie bieten sich nun als Elemente einer offenen, suchenden Aussageweise, der Montage, an.
Montage kittet nicht zu Bruch Gegangenes, sondern bezieht Bruchstücke beziehungslos aufeinander. Diese Art der Verbindens arbeitet mit einem Verlust, nämlich dem der zerbrochenen Ordnung, die den Zitaten zuvor ihren Wert und ihre Bedeutung verlieh, sodass diese jetzt einen Zusammenhalt als abhanden gekommenen ausweisen und Konstruiertheit von Bedeutung herauszustellen vermögen. Leerstellen verbinden. So könnten sie die Möglichkeit der Bedeutungsproduktion selbst wiedererhalten (ohne sich sogleich in Nützlichkeit zu erschöpfen): Schemata von Bedeutungsproduktion als Bedingung der Herstellung von Wirklichkeit, des Vorgangs des Verstehens, zu zeigen.
Möglicherweise bietet sich nicht ein Ganzes, das „typisch“ ist, dar, das sich als kohärente Einheit abschließen und abgrenzen lässt, sondern eine Sache, die je typisch durch Aufspaltungen in Vielfältigkeit wird, die durch Relationen, abhängig von Blickpunkten, entsteht. Das könnte dann eine Beobachtung zweiten Grades sein, weniger im Sinne eines „Blickes auf“ oder einem „Sprechen über“, sondern des dem eigenen Blick im „Blick auf“, dem Sprechen im „Sprechen über“ in die Quere Kommens. Vielleicht bekommen wir Einblick in die Verstrickungen mit den Registern von Sichtbarkeit, in die Produktionen „unseres Blicks“ selbst. ... Im Vorgang des „Verstehenwollens von Realität“, seiner von Interessen und Standpunkten abhängigen Produktionen. Von dieser Beobachtung zweiten Grades aus, Loslösung und Haftung zugleich, könnten wir „China“ als Zuarbeit an den gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen, als Ideologie – anerkannte Weltanschauung oder Anerkennen von Weltanschauung, „Die Dinge wie sie sind“ – verstehen und Wirklichkeit, „Die Dinge wie sie sind“ und anerkannte (Anerkennen von) Weltanschauung in einen für uns kritischen Zustand des Denkens und Verstehens bringen: „Die Dinge wie sie sind“. Mit Henri Lefèbvre bedeutet diese Denkbewegung „Modernität“: „die einsetzende Reflexion, den mehr oder weniger weit vorangetriebenen Ansatz einer Kritik und Selbstkritik, das anstrengende Projekt“ des Erkennens. Reflektiert werden soll eben eine „Bewusstseinslage, die jeweilige Epochen, Zeitläufe, Generationen von sich selbst gewinnen“, das Zeitgenössische: der „Modernismus“. Er besteht „aus Bewusstseinsphänomenen, aus Bildern und Projektionen des Selbst“. „Der Modernismus ist ein soziologisches und ideologisches Faktum. Man findet ihn in ‚statu nascendi‘ in der Presse mit all seinen Prätentionen und phantastischen Entwürfen. In Ausstellungen wird er rekonstituiert“ ...
... oder: in Ausstellungen rekonstituiert, rekonstruiert ... und so auch zerlegt.
Johannes Porsch
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