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Der Katalog erscheint zur Ausstellung „»Wien. Die Perle des Reiches« Planen für Hitler" im Architekturzentrum Wien (Laufzeit: 19. März 2015 - 17. August 2015).
Herausgegeben vom Architekturzentrum Wien Az W.
Zusammengestellt von Ingrid Holzschuh und Monika Platzer
1. Auflage, 2015
Broschiert
232 Seiten, 161 farbige und 23 sw Abbildungen
21.5 x 30 cm
ISBN 978-3-906027-78-4
Inhalt
Dietmar Steiner
5 Vorwort
Ingrid Holzschuh, Monika Platzer
7 Gegen das »Schonen des Gewissens«
Siegfried Mattl und Gottfried Pirhofer
12 Wien. »Tor zum Südosten«
Stadt- und Regionalplanung im Kontext imperialer Raumpolitik
Ingrid Holzschuh
28 Verlorene Stadtgeschichten
Hitlers Blick auf Wien
Monika Platzer
48 Schatten der Vergangenheit
Wien nach 1945. Eine zweite Fassung der »Perle«?
Ingeburg Weinberger
68 Siedlungs- und Wohnungsbau in Groß-Wien
Birgit Knauer
86 Oswald Haerdtl. Ein »deutscher« Designer mit Wiener Note
Marián Potočár
104 Österreicher bauen im »Neuen Osten«
Bratislava, Prag, Krakau
Bildteil
122 Wien im Großraum Europas
128 Wien. Die Perle des Reiches
132 Rasse und Raum
138 Macht und Symbolpolitik
144 Monumentalisierung
158 Reaktionärer Modernismus
166 Die neue Stadt
178 Totaler Krieg
Klaus Steiner im Gespräch mit Ingrid Holzschuh und Monika Platzer
187 »Es ist wichtig, zu wissen, wo die Dinge herkommen –
auch wenn sie aus der rechten Ecke kommen.«
198 Sammlungsbestand N31 – Archiv Klaus Steiner
Christoph Freyer
217 Biografische Skizzen
228 Personenindex
231 Kurzbiografien der AutorInnen
Dietmar Steiner
Vorwort
Der Konsens der österreichischen Nachkriegsgeschichte beruhte auf der These des „ersten Opfers“ von Hitlers Expansionspolitik. Deshalb fand bis zur „Waldheim-Affäre“ 1986 auch keine relevante Aufarbeitung der Beteiligung österreichischer Eliten am Nationalsozialismus statt. Erst ab dem Ende der 1980er-Jahre begann die nähere Betrachtung und Analyse dieser Zeit. Viele Firmen und Institutionen durchleuchteten ihre Rolle in der Zeit des Nationalsozialismus, bei vielen stünde eine solche Untersuchung noch an. Restitutionsgesetze und -verfahren wurden viel zu spät – aber doch – beschlossen. Der Auftrag zur Forschung und Aufklärung besteht bis heute.
Für die Architektur und Stadtplanung hält sich seit Langem der Mythos, dass alle wesentlichen Planungen „von Berlin aus“ erfolgt sind und österreichische ArchitektInnen kaum Einfluss hatten. Doch ja, seit dem Ende der 1980er-Jahre weiß man von Josef Hoffmann, Franz Schuster, Roland Rainer, Oswald Haerdtl, Siegfried Theiss und Hans Jaksch, Georg Lippert etc. fragmentarisch und gerüchteweise über deren Wirken in dieser Zeit. Werner Durths epochales Werk Deutsche Architekten – Biographische Verflechtungen 1900–1970 von 1986 warf erstmals ein aufklärendes Licht auf die Bedingungen der Architektur dieser Zeit.
Als Klaus Steiner seine in jahrzehntelanger, akribischer Suche entstandene Sammlung an Dokumenten zu Wiener Planungen in der NS-Zeit dem Az W überantwortete, konnte die Forschung zur Wiener Stadtplanung und der Rolle der Wiener ArchitektInnen fundiert beginnen. Diese eroöfnete auch einen neuen und genaueren Blick auf Nachlässe in der Sammlung des Az W.
Vorliegender Katalog zur Ausstellung enthält nun eine Vielzahl von aufschlussreichen Annäherungen an die Planungs- und Architekturgeschichte dieser Zeit. Siegfried Mattl und Gottfried Pirhofer analysieren die geopolitische Dimension der NS-Zeit für Wien. Wien wurde damals eine zentrale Rolle zur Steuerung und Koordinierung der Ressourcen Süd-Ost-Europas zugewiesen; Erkenntnisse, die auch in die aktuelle Positionierung Wiens nach dem Ende des Kommunismus einfließen sollten. Nach den Unterschieden der Expansionspläne des Dritten Reiches zu jenen der EU sollte nun gefragt werden.
Ingrid Holzschuhs Beitrag beschäftigt sich mit den Neugestaltungsplanungen der Gauhauptstadt Groß-Wien, der zweitgrößten Stadt des Deutschen Reiches, das als „Tor nach Südosten“ und „Hamburg des Ostens“ bezeichnet wurde. Monika Platzer recherchierte die Kulturgeschichte, die Wien eine Sonderrolle im Deutschen Reich zuerkannte, wie das Wienerische gegen das Berlinerische ins Treffen geführt wurde und zeichnet anhand der Arbeiten von Franz Schuster und Roland Rainer beispielhaft die Kontinuität ihrer Planungs- und Architekturideologie von der Zwischenkriegszeit der Moderne über die NS-Zeit bis in die Nachkriegszeit nach.
Wir sollten darüber nachdenken, warum Raumordnung und Raumplanung erst in der NS-Zeit akademische Disziplinen wurden, und von wie vielen Ideologien die Gartenstadt, die Bandstadt und die „Grünkeile“ in der Stadtplanung vereinnahmt werden konnten – bis heute.
Ingeburg Weinberger zeigt die hektische Entwicklung der Normierung im Wohnungsbau, ein Ergebnis der Bestrebungen schon der Moderne davor, dem nach Einstellung des Wohnungsbaus der Nationalsozialisten ab 1939 wohl erst in der Nachkriegszeit Erfolg in ganz Europa zuteilwurde. Ernst Neuferts Bauentwurfslehre, ein Kind der NS-Zeit, ist bis heute in seinen gigantischen weltweiten Auflagen ein technokratischer Spiegel gesellschaftspolitischen Verhaltens.
Birgit Knauer behandelt in ihrem Beitrag die Sonderrolle Wiens im ästhetischen Programm des Nationalsozialismus. So wie im Spielfilm dieser Zeit waren die „Wiener“ für das Leichte, das Ästhetische, das Kapriziöse, die Ablenkung zuständig. Gestaltung war noch nach Klassen und nicht nach Lebensstilen geteilt. Der Luxus des Offiziellen unterschied sich klar von der Entwicklung von Normmöbeln für die einfachen Volksgenossen. Noch in den 1980er-Jahren empfing mich ein General im Verteidigungsministerium in seinem Büro mit den Worten: „Dieses gediegene Interieur stammt noch aus der NS-Zeit ...“
Marián Potočár eröffnet den Blick auf bisher unbekannte Planungen Wiener Architekten im ehemals monarchischen und dann nationalsozialistischen „Neuen Osten“. Auch hier darf über vergleichbare Aktivitäten nach dem Fall des Eisernen Vorhangs nachgedacht werden.
Was ist das Ergebnis dieser wissenschaftlichen Arbeit zur Architektur und Stadtplanung Wiens in der Zeit des Nationalsozialismus? Aufschlussreich ist die Kontinuität der Eliten durch alle politischen Regime – vom Roten Wien über den Ständestaat, den Nationalsozialismus und wieder zurück zum Roten Wien der Nachkriegszeit bis heute. Die technischen, wissenschaftlichen und ästhetischen Disziplinen können oder „müssen“ ihre Ideologien dem jeweiligen Herrschaftssystem anpassen.
Allen Beteiligten am Projekt „»Wien. Die Perle des Reiches« Planen für Hitler" ist für ihre Recherchen zu danken. Sie haben begonnen, eine für Wien peinliche Lücke in der Geschichte des 20. Jahrhunderts zu schließen. Es gibt keine Raumplanung, keine Stadtentwicklung, keine Planungen für Infrastruktur und keine Gestalt der Architektur, die ideologiefrei jenseits des Politischen wäre.
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© Az W
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