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Wenn sich der Rhythmus einer Stadt verlangsamt, und das pulsierende Leben einer Stadt ausstirbt, greifen Politiker und Stadtplaner zu einem neuen medizinischen Reizmittel. Es bewegt und verändert den Fluss der Lebensenergie, fesselt die Aufmerksamkeit der Bewohner und konzentriert sie wieder auf das Herz der Stadt: Gemeint sind damit die neuen Köder für alte und verödete Stadtzentren, By-pässe, Magnete oder Implantate. Sie geschehen nicht zufällig, sondern werden bewusst im Hinblick auf die neue Urbanisierung Europas geplant und durchgezogen oder anders ausgedrückt mit ver-schiedenen Leitbildern besetzt:
Bekannte und berühmte Architektur greift mutig in alte Stadtstrukturen ein, bricht sie auf, sprengt und provoziert mit spektakulären Projekten den traditionellen Rahmen. Die konkrete architektonische In-tervention gewinnt wieder an Bedeutung. Imagebildende Projekte sind zusammen mit Reurbanisierungsprojekten, Aushängeschilder für einen neuen Optimismus.
"Geschädigte" Quartiere werden punktuell reanimiert und Stadt im Sinne eines kapillaren Verdichtungswachstums nach innen erweitert: Lückenbebauung, Umbau, Aufstockung, Anbau und Überbauung schaffen Aggregate, die Spannung in Energie umwandeln. Grossflächige industrielle Brachen zumeist an zentral gelegenen Standorten werden neu definiert.
Die Entindustrialisierung der postindustriellen Ära fordert eine radikale wirtschaftliche und kulturelle Neuorientierung. Wenn unsere Städte nicht untergehen wollen, sind sie gezwungen, sich selbst als Produkt zu definieren. Sie müssen ihre Attraktivität steigern, um ein günstiges Investitionsklima und neue Anreize zu schaffen. Im Vordergrund steht dabei neben geografisch bedingten Lagequalitäten - der Erreichbarkeit, des Klimas, der Freizeitmöglichkeiten - die Kumulation von Institutionen, insbesondere der Verwaltung, Bildung, Forschung, Kunst, Kultur und Sport.
Stadtqualität als Stadtwachstum und Stadtumbau steht auf dem Programm. Stadtqualität aber auch als Häufigkeit und Intensität menschlicher Beziehungen, als Vielfalt der Lebensformen und Überschneidung und Überlagerung verschiedenartigster Nutzungen. Unterschiede müssen wieder übereinandergeschichtet werden, anstatt sie zu segmentieren.
Animierende Architektur aktiviert die soziale Bereitschaft, erzeugt Nähe und unterstützt das Dabeiseinwollen. Animation steht dabei für das Auffüllen eines Gefühlsdefizits. Animierräume wecken Lust und regen an. Motivierende Stadträume stiften Identität, das von gesamtgesellschaftlichen Nutzen ist. Identität als Indikation gegen Entfremdung, Entwurzelung und Desorientiertheit ihrer Bewohner. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist die Schaffung von Unverwechselbarkeit.
Die Herzen der Stadt werden gegen die Theoretiker der Telepolis, gegen die Verfechter der Region und Planer immer neuerer und grösserer Siedlungen, Einkaufszentren und Gewerbeparks an der Peripherie und im Umland wieder stark gemacht. Hatte früher das Raumplanungspendel peripher ausgeschlagen, besinnt sich die Öffentlichkeit nun wieder auf den Ausgangspunkt der Impulssetzung, auf sein Zentrum.
Die dichte, kompakte Stadt, die mit ihren Räumen und Ressourcen sparsam umgeht und ihre Verkehrs- und Menschenströme bündelt, erweist sich immer mehr als urbanistisches Zukunftsideal. Das Konzept "Stadtumbau" zielt auf Verdichtung, Verflechtung, Überlagerung und Komplexität, auf risikoreiches Maximum an Gleichzeitigkeit von Ereignissen, Meinungen, Waren und sozialen Befindlichkeiten, schlicht auf sinnliche Intensität und Urbanität.
Die alten Städte sind die "Herzen Europas". Keine generelle Erneuerung findet derzeit statt, wie in der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts. Die aktuelle Strategie geht punktuell vor. Mitten in die alten "Herzen" werden neue Strukturen gepflanzt, Implantate gesetzt. Ihr Takt ist neu und beschleunigt den Rhythmus des alten, müde gewordenen Herzens.
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© Az W
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