Architekturzentrum Wien  
 

 
 
6. Wiener Architektur Kongress
Wo wohnen wir. Where will we live?

Unsere Gesellschaften beginnen sich von ihren eingelebten Vorstellungen vom Zuhause abzuwenden. Unseren alten Bildern vom Wohnen stehen jedoch noch keine neuen entgegen, keine, die die Frage beantworten würden: Wie werden wir wohnen?
Der Prozess der Entmaterialisierung und Enthistorisierung gegenwärtiger Lebenswelten scheint, darüber sind sich viele einig, unaufhaltsam.
Leben wir etwa in einer Zeit, in der auch die Architektur mit ihren "Figuren" und "Bildern" darauf keine ausreichende Antwort mehr geben kann?

Das Problem sitzt tief: Ist das Haus als Form, als gebaute, gestaltete und soziale Konstruktion der qualitativ neuen Realität der Reprivatisierung und Deregulierung ausgeliefert? Zerbrechen an ihr alle die gewohnten öffentlichen, politischen, gestalterischen Regulierungsphantasien? In vielen Ländern auch der westlichen Welt wächst zumindest die Sorge vor dem Verlust der Begriffe Zugehörigkeit und Zuhause. Es gehen irrationale Ängste um. Zum Beispiel die Angst vor den scheinbar unkontrollierbaren Innovationen der Dislozierten. Die Verbannung von Menschen, welche die Masstäbe der Normalität nicht mehr erfüllen, ist Alltag geworden, ebenso wie die Armutsökonomie des Wohnens in den Favelas.

Viele dieser negativen, angstbesetzten Reaktionen entstehen in direktem Wechselspiel mit einer gewissen utopistischen Spekulationswut über die erlösende und umwälzende Macht der architektonischen Bilder. Architektur ist Teil der Kulturindustrie geworden. Die PlanerInnen haben mittlerweile offenbar begriffen, wie eingeschränkt ihre politische Handlungsmöglichkeit ist, die in diversen Mustersiedlungen als liberale Arznei gegen soziale Krankheiten verabreicht werden soll. Und die neuen Netzwerke von Infrastruktur, Information, Bildern, stilistischer Produktion und Macht fügen sich nicht mehr so einfach aufs Zeichenpapier. Gerade deswegen erscheint es so dringlich, nach der Art und Weise zu fragen, wie dieser Prozess die Vorstellungen eines neuen Wohnens mitkonstruiert und wie die Lebenswelten der BewohnerInnen von der Angebotsökonomie des gegenwärtigen Wohnbaus konstruiert werden. Die Frage drückt: Wie lassen sich die Fussangeln der alten funktionalistischen oder phänomenologischen, der organistischen oder typologisch-soziologischen Konzeption von Wohnbau umgehen, überwinden?

Wie kann Architektur innerhalb dieser Rahmen noch arbeiten? Kann sie versuchen sie zu entgrenzen, um damit zu neuen Begriffen und Bildern zu gelangen, die sich in die sich schnell ändernden sozialen Verhältnisse einschreiben? Nicht nur der Themenpark-Wohnbau massgebender Developer-Kräfte setzt mittlerweile ja seine manchmal zynischen Zeichen.
Jedenfalls entwickelt die Architektur noch immer ihre Bilder:
Hochartifizielle, symbolisch aufgeladene Spätzeitversionen des Bautyps Villa stehen da neben der gestalterischen Anstrengung, Modelle für die Minimalstandards des Wohnens zu entwickeln. Der Versuch ökologisch nachhaltiges Bauen innerhalb der Vorgaben einer extensiven Billig-Wohnbauproduktion etwa in Metropolen Südostasiens steht gegen Projekte, die aus der Angst der europäischen Städte entstehen, mit den neuen Bedingungen von Arbeit, Sozialabbau und innereuropäischer Migration fertig zu werden. Gerade weil die Stadt-TheoretikerInnen den Metaphern von Dichte und Materialität für die Bewältigung der zukünftigen Aufgabe von Städtebau und Architektur so grosse Aufmerksamkeit zukommen lassen, ist das Werk von ArchitektInnen selbst als eine Form theoretischer Aktivität zur Beantwortung dieser Frage zu begreifen: Es ist eine immanente, alltägliche Form der Theorie, eine, die der Textur von ökonomischen, medialen und sozialen Praktiken dicht auf den Fersen folgt. Vielleicht ist Architektur heute nicht die Antwort auf die Frage "Wie wohnen wir?", die der Wiener Architekturkongress stellt, ganz egal ob sie politisch, sozial oder gestalterisch gemeint ist, sondern genau die Form, in der die Frage gestellt und durchgearbeitet, ja gelebt werden sollte und schon wird?

Der sechste Wiener Architektur Kongress jedenfalls will eine kritische und historische Untersuchung anstossen, die die Behausungsfrage auf den vielen Ebenen der Kultur analysiert, in denen sie sich vollzieht: in Städtebau und Architektur, privaten Lebensbildern und Medien, Technologie und Bauwirtschaft, Ökonomie und Veränderung der Arbeitswelt.
Die Untersuchung dessen, wie wir wohnen werden ist aber zugleich sowohl als eine Recherche der zeitgenössischen Obsession mit Bildlichkeit und Medien angelegt wie als deren diagnostische Analyse, als eine Art "Angriff der Interdisziplinarität auf das bestehende architektonische Gefüge".

Die rapide Entwicklung der Wohnbauwirtschaft kann nicht nur kulturpessimistisch als eine Verschwörung der ökonomie gegen die Architektur mit dem Ziel, die Menschen in die nächste Stufe des Konsumkapitalismus einzuhausen gesehen werden. Sie ist auch eine Chance. Eine Chance, sich gegenwärtig immer neu abgegrenzte Sektoren - die soziale Segregation und Arbeitsteilung in öffentliche und private, kulturelle und ökonomische, arbeitslose und arbeitende Bereiche, in Inländerinnen und Ausländerinnen, Männern und Frauen zugeordnete Sphären - zu fassen. Eben deshalb will der Kongress der Versuchung widerstehen, dieses Fragenbündel nur auf eine Frage der Ökonomie und Planung hin auszudünnen.

Wie werden wir wohnen? Die Frage mit ihrem zwangsläufigen Angewiesensein auf konkrete Beispiele, Bilder, Szenen, Technologien und soziale Formationen, so lebendig wie möglich zur Geltung zu bringen, ist der Wunsch. Diese Frage ist nicht in Begriffen eines bislang Erreichten zu denken, sondern in steten Übergängen ­ auch wenn und vielleicht gerade weil diesen eine rahmende, eine architektonische Verbindlichkeit noch fehlt.




 

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